Zweifelhaft: „Impfstudie“ entpuppt sich als PDF mit falschem Absender
Dubioser Vorwurf indirekter Schäden durch Impfungen bei Kindern / Twitter löscht Post des Journalisten Boris Reitschuster / Karlsruher Institut für Technologie verweigert Nennung
VonChristian Schwägerl
6 Minuten
Karl Lauterbach verstarb am Nachmittag des 1. Juli.auf Twitter hart aus dem Fenster gelehnt. „Wer solchen Unsinn verbreitet, darf nicht Journalist genannt werden“, sagte der SPD-Politiker über Boris Reitschuster, der nach eigenen Angaben von 1999 bis 2015 das Moskauer Büro des Nachrichtenmagazins Focus geleitet hat irgendwann. "Klartext-Journalismus" nennt er, was er tut und was er von seinen Lesern verlangt.
Lauterbach verwies auf einen Tweet von Reitschuster, der mit einem Zitat aus nicht genannter Quelle beginnt: „Kinder können an dem angereicherten Eiweiß von Geimpften sterben.“ Weiter heißt es in Reitschusters Tweet: „Eine Impfung gegen Covid-19 kann sich nicht nur negativ auf die selbst Geimpften auswirken, sondern auch auf die Nichtgeimpften. Auch Kinder gehören zu den Betroffenen, wie eine umstrittene Studie zeigt.“
Der Tweet, den Twitter wegen Verstoßes gegen die Regeln der Plattform entfernte, verlinkteein Artikel auf der Reitschuster-Website, in dem der Autor Christian Euler eine "verstörende Studie" präsentiert, so der Untertitel. Er sagt: „Hervé Seligmann, der am Karlsruher Institut für Technologie forscht, hat zwischen Januar und Mai dieses Jahres ungeimpfte Kinder im Alter von 0 bis 14 Jahren aus 22 europäischen Ländern beobachtet.“
Alle Nebenwirkungen müssen untersucht werden.
Eine ihrer wichtigsten Erkenntnisse sind die „indirekten Auswirkungen des Covid-19-Impfstoffs, vermutlich durch die Entfernung von Spike-Proteinen und/oder anderen Molekülen“. Dies erhöhte die Gesamtmortalität unter den Ungeimpften, "insbesondere in den frühen Stadien, wenn die Impfung negative Auswirkungen auf Geimpfte hat". Kinder sind besonders betroffen. Der Autor Euler nennt sogar das Beispiel eines verstorbenen Babys und behauptet, es bestehe ein Zusammenhang mit der Impfung der Mutter.
Euler bezeichnet sich selbst als Finanz- und Wirtschaftsjournalist, der „über Positionen bei Börse Online in München und als Korrespondent für ‚Focus‘ in Frankfurt schreibt“, seit 2006 als Investmentjournalist und freier Autor für die Gruppe „Welt“, „Cash ", zwischen anderen. und der "Wiener Börsen-Kurier".
Wer im Artikel auf den Link zur „Studie“ klickte, wurde am Donnerstag im Kreis und zurück auf die Webseite von Reitchuster geschickt. Google gab jedoch die Website zurück, auf die der Link verweisen sollte. Und wenn Sie diese URL aufrufen, erscheint ein PDF, dessen Autor ein gewisser Hervé Seligmann vom "Institut für Mikrostrukturtechnik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Hermann-von-Helmholtz-Platz 1, 76344, Eggenstein-Leopoldshafen, Deutschland ist ' er sagt.
Euler präsentiert die scheinbar richtige "Studie". „Es wurde noch nicht begutachtet“, informiert er die Leser. Dies ist ein wichtiger Punkt, da wissenschaftliche Publikationen einer Begutachtung, dem „Peer Review“, unterzogen werden und ohne die sie einfach sinddie sogenannten "Preprints". Da es in der Corona-Krise wichtig ist, neue Erkenntnisse schnell zu teilen, sind Preprints auch Teil der öffentlichen wissenschaftlichen Diskussion geworden.
Eindeutig kein KIT-Studio
Eine Studie, ein Institut am weltweit renommierten KIT in Karlsruhe, klassifiziert als Druckvorstufe, klingt gut. Und in der Tat ist es wichtig, genau auf die Risiken und Nebenwirkungen des Corona-Impfstoffs zu achten. Was für seltsame Nebenwirkungen wie daszerebrale Venenthrombosesind möglich, wir haben es erlebt. Aber auch, dass sie sofort geortet wurde,Ernst genommen werdenund gescreent werden und dass viele Länder die Art und Weise, wie Impfstoffe verabreicht werden, daraufhin angepasst haben.
Aber darum geht es in diesem Fall nicht. Stattdessen ist es eine erschreckende Lektion darüber, wie Wissenschaftsjournalismus nicht sein sollte.
Fünf Gründe dafür:
1. Euler gibt auf der Reitschuster-Website an, Hervé Seligmann forsche „am Karlsruher Institut für Technologie“. Das ist falsch.
Auf Nachfrage erklärte das KIT: „Dies ist eindeutig keine KIT-Studie. Herr Seligmann ist kein Mitarbeiter des KIT und hat die KIT-Mitgliedschaft illegal genutzt. Im Rahmen eines Gastwissenschaftlerprogramms hat das KIT Herrn Seligmann zu einem späteren Aufenthalt eingeladen Datum. Dieser Gastaufenthalt hat noch nicht stattgefunden. Auch aufgrund der aktuellen Entwicklungen beabsichtigt das KIT, die Einladung zurückzuziehen und wir werden den Aufenthalt von Herrn Seligmann am KIT nicht durchführen. Herrn Seligmann wurde ein Entsendungsverbot im Rahmen der KIT-Mitgliedschaft erteilt. Wird dieser Antrag gestellt von Herrn Seligmann nicht erteilt wird, behalten wir uns rechtliche Schritte vor.“
Es gibt einen Wissenschaftler namensHerve Seligmann, das die RNA und auch die Pandemie untersuchte. einsnach bisherigem Lehrplaner promovierte 2003 in Biologie an der Hebräischen Universität Jerusalem. Eine Frage an Seligmann am Freitagvormittag, ob er der Autor des von Reitschuster verlinkten PDFs sei und warum das KIT als Affiliate, also institutionelle Zugehörigkeit genannt wird, bisher nein Antwort.
In mindestens einem weiteren Fall hat Seligmann offenbar eine wissenschaftliche Einrichtung als Zugehörigkeit in einem nicht autorisierten Artikel verwendet, ohne dass jemand von ihm oder seiner Arbeit wusste. In der Zeitung "Bijektive Transformationen von Codons zeigen Symmetrien genetischer Codeskonzentriert sich auf zytokinkodierende Eigenschaften", zitierte Seligmann 2020 das "Department of Ecology, Evolution and Behavior, Alexander Silberman Institute of Life Sciences, Hebrew University of Jerusalem, 91904 Jerusalem, Israel" als Tochtergesellschaft. Aber laut seinem Chef, Yehu Moran, hat dort in den letzten Jahren nicht gearbeitet. Auf Nachfrage sagte Moran, er halte „Dr. Seligmanns Verwendung unserer Abteilungszugehörigkeit für unangemessen“.
2. Das verlinkte Dokument ist nur ein PDF
Um in das wissenschaftliche Begutachtungsverfahren einzutreten, werden Preprints grundsätzlich zur möglichen Veröffentlichung in einer anerkannten Peer-Review-Zeitschrift und dann auf sogenannten Preprint-Servern wie zArXivÖMedrxivGepostet werden. Wissenschaftler können sie dort einsehen und kommentieren. Das PDF von Eulers Artikel befindet sich jedoch nicht in einer solchen wissenschaftlichen Datenbank, sondern auf der Website einer NGO in Israel und - Update 3.7. –im ResearchGate, eine Art soziales Netzwerk für Wissenschaftler. Außerdem fehlt dem PDF, was ein wesentlicher Bestandteil jeder guten wissenschaftlichen Veröffentlichung ist: die Nennung von Quellen und Verweisen. Das weiß auch Hervé Seligmann, dessen Publikationen in Datenbanken zu finden sind. Reitschusters Autor Euler offensichtlich nicht, zumindest hält ihn das nicht davon ab, die offensichtlich unfertige Arbeit als "Studie" zu präsentieren.
3. Das PDF enthält zeilenweise reine Spekulation
Auch inhaltlich stehen der Artikel auf der Reitschuster-Website und das verlinkte PDF zumindest auf wackeligen Beinen. Dass geimpfte Menschen gesundheitliche Schäden verursachen können, indem sie Spike-Proteine in ihre Umgebung ausscheiden,Es ist reine Spekulation und wurde nicht getestet.. Es wurde auch kein kausaler Zusammenhang zwischen Impfungen und Sterblichkeitsraten bei jungen Menschen beobachtet. Vor allem die sogenannte „Übersterblichkeitsrate“ junger Menschen, also die Zahl der Fälle, die über der statistisch erwarteten Rate liegen, ist zuletzt gesunken und nicht gestiegen. Das ist vonEuromomo-Datenbanknummernder diese Informationen sammelt.
4. Es gibt keine Anhaltspunkte für einen konkreten Fall
Der Autor Euler zitiert in seinem Artikel auch den Fall eines Babys, das laut einem in einer amerikanischen Datenbank nicht verifizierten Bericht im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung der Mutter starb. Die Datenbank dient jedoch nur der Meldung von Verdachtsfällen aller Art und die Meldung stellt nur den zeitlichen Ablauf dar. Dass ein kausaler Zusammenhang besteht, ist noch nicht einmal verifiziert und schon gar nicht durch die Art der Datenbasis belegt.wie die Nachrichtenagentur AFP in einem Faktencheck erklärte.
5. PDF-Autor verwandelt Annahmen in Tatsachenbehauptungen
Der Autor des PDFs wechselt bei einem so heiklen Thema zwischen spekulativen Aussagen, teilweise mit doppeltem Konjunktiv, und Tatsachenbehauptungen, die sich daraus nicht einmal ableiten lassen. Dies zeigt sich mit einem Satz wie: „Die indirekte Wirkung der Impfung kann auf den Entzug der COVID19-Impfung zurückzuführen sein, die insbesondere ungeimpfte Kinder treffen kann“. erhöhte Sterblichkeit bei ungeimpften Kindern unter 15 Jahren. Dies ist besonders problematisch, weil der Autor selbst an anderer Stelle schreibt, dass es keine getrennten Mortalitätsdaten für geimpfte und ungeimpfte Kinder gibt.
Ein unfertiges Dokument, das nicht einmal auf einem Prepress-Server liegt, deckt die Ansprüche auf der Reitschuster-Website nicht ab. Allerdings gilt natürlich: Wenn es in diesem Bereich tatsächlich statistische Auffälligkeiten gibt, wäre es wichtig, diesen nachzugehen. Alle möglichen Wirkungen und Nebenwirkungen des größten Impfprogramms der Menschheitsgeschichte müssen schnell untersucht werden. Glücklicherweise geschah dies bei einer zerebralen Venenthrombose. Unter den Verantwortlichen herrscht Einigkeit.
Gefahr, wenn leichtgläubige Menschen in die Falle tappen
Aber im PDF sind die aufgestellten Behauptungen definitiv nicht bewiesen, was die Voraussetzung für einen wissenschaftlichen Artikel wäre. Der Artikel auf der Website von Boris Reitschuster über das PDF enthält keine Informationen, rein gar nichts. Seine unbegründeten Behauptungen schüren die Befürchtungen von Impfskeptikern in einer Zeit, in der die schnell wachsende Durchimpfungsrate im Gegensatz zur Delta-Variante den besten Schutz vor weiteren Erkrankungen und Todesfällen durch Covid-19 bietet. Und sie spielen mit den Ängsten der Eltern um die Gesundheit ihrer Kinder.
Was passiert, wenn Menschen diese dubiose Panikmache ernst nehmen? Dies kann dazu führen, dass sie den Impftermin absagen oder gar nicht erst erscheinen. Dies würde nicht nur zu grundlosen Risiken für die eigene Gesundheit und sogar zum Tod führen, sondern wenn viele von diesen Posts beeindruckt sind, würde es auch die gesamte Pandemie verlängern. Und bei Karl Lauterbach kann man getrost "Quatsch" nennen.
#Corona#Impfung# Fehlinformationen